St. Galler Tagblatt: 18. September 2009 (Bruno Knellwolf)

Warum beten?


Bettag. Was suchen Menschen, die beten? Antworten geben Lars Simpson, Pfarrer der Christkatholischen Kirche, und Vica Mitrovic als Vertreter der Serbisch-Orthodoxen Kirche. Die Landeskirchen und andere Religionsgemeinschaften treffen sich vor dem Bettag zu einer interreligiösen Feier auf dem Klosterplatz in St. Gallen.



Herr Simpson, Herr Mitrovic, wozu soll das Beten gut sein?

Lars Simpson: Beten kommt aus dem Grundbedürfnis heraus, mit Gott in Kontakt zu treten – auch im Alltag. Man kann bewegt sein vom eigenen Schicksal. Man betet mit Hoffnung auf Lebensveränderung und Verbesserung. Man betet auch im Rahmen eines Gottesdiensts, um Gott zu loben und zu danken.

Vica Mitrovic: Es geht darum, mit dem Gebet christlichen Frieden zu erlangen. Das Gebet ist nicht nur eine disziplinarische Massnahme. Wie Herr Simpson gesagt hat, geht es um die Herstellung einer Verbindung zu Gott selbst und darum, den Weg zu seinem inneren Frieden zu finden. Dazu fällt mir ein Spruch aus Rumänien ein: In Gedanken ist auf der rechten Seite Gott, auf der linken der Tod, vor dem wir erschrecken. Irgendwann treten wir über in die Ewigkeit. Und um diesen Weg zu erleichtern, ist das Gebet da.

Braucht es für das Beten ein Gottesbild?

Simpson: Man muss nicht unbedingt ein Gottesbild haben, um zu beten. Man ist geerdet in einer religiösen Tradition, die über Jahrhunderte gewisse Gebetsformen entwickelt hat. Das Spannende an der interreligiösen Feier am Samstag auf dem Klosterplatz ist ja, dass Vertretungen der sieben Weltreligionen zusammenkommen. Jeder in ganz anderer religiöser Tradition und auch mit anderen Gottesbildern, oder besser gesagt mit einer anderen Vorstellung von Gott. Gewisse Religionen sind bildlos und wortbezogen, gerade die drei abrahamistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam. Andere Religionen, wie der Hinduismus, sind stärker durch Bilder geprägt.

Mitrovic: In der orthodoxen Tradition gibt es die Ikonenverehrung. Man hat dieses Bild von Gott oder Mutter mit Gott, also Jesus Christus, und versucht das als Kunstschatz zu materialisieren. Diese Ikone muss man wie ein geöffnetes Fenster anschauen, durch welches man versucht, die Verbindung zu Gott zu schaffen. Die Ikone ist aber auch Kunst. Wir küssen die Ikone auch. Was gibt es Schöneres für den Künstler.

Also brauchen Betende ein Bild.

Mitrovic: Das muss nicht sein, aber es ist eine Möglichkeit. Wenn ich mich auf eine Ikone konzentriere und versuche, gewisse Dinge im Gebet auszusprechen, ist ein Bild da. Aber wie sieht Gott aus? In der orthodoxen Tradition ist er ein Greis mit langem weissem Bart. Es gibt auch Kirchen, deren Fresken so gemalt sind. Der Islam verbietet dagegen, ein Bild von Gott zu zeigen. Da sind die Ansichten unterschiedlich.

Simpson: Das Christentum sagt ja: Macht euch kein Bildnis. Das kommt aus dem Alten Testament. Ein Bild ist so begrenzt wie das Wort. Andererseits haben wir Bilder in unseren Köpfen, auch von anderen Religionen. Wir machen dazu pauschale Äusserungen. Der Anlass morgen soll dazu dienen, dass man diese Bilder auf die Seite legt und offen aufeinander zugeht, um mit Wertschätzung die Tradition des anderen zu betrachten.

Entrückt man mit dem Beten nicht ins Jenseits und vergisst dabei das Diesseits?

Mitrovic: Es geht nicht darum, dass dieses Tabu nicht berührt werden darf, sondern darum, wie man es tut. Ich will Ded Gecaj auf keinen Fall in Schutz nehmen – nur: In diesem Fall ging von Anfang an so vieles schief in der Kommunikation. Und als jemand, der fast täglich mit Familienkonflikten in Migrationskreisen der Ex-Jugoslawen und Kosovos konfrontiert ist, sehe ich ein, dass er, die Familie mit ihrem kulturellen Hintergrund die Integrations- und Verständigungsbemühungen des Gastlandes selbst als Übergriffe empfanden. Aus westlicher Optik klingt das arrogant: Man hat mit menschlichen Ressourcen alles mögliche getan, um dieses Mädchen zu retten. Für ihr eigenes Volk indes ist und bleibt es verloren.

Entrückt man mit dem Beten nicht ins Jenseits und vergisst dabei das Diesseits?

Simpson: Das Beten muss immer eine Verbindung sein zwischen dem Jenseits und dem Diesseits. Ein religiöser Mensch steht genauso mit beiden Füssen auf dieser Erde wie ein anderer. Er hat dieselbe alltägliche Herausforderung. Das Beten ist keine Flucht aus dem Alltag. Jede Weltreligion setzt sich auseinander mit dem Mensch im Hier und Jetzt. Auch mit der Hoffnung auf Veränderung jetzt und in Ewigkeit. Sonst wird die Religion esoterisch und zur Parallelwelt.

Diese Gefahr besteht aber.

Simpson:Der gesunde Menschenverstand in der Kirche bezieht die Realität immer ein. Das zeigt sich auch mit den sozial-caritativen Werken der verschiedenen Religionen wie Schulen, Krankenhäuser oder das Almosengeben. Religionen überlassen die Menschen nicht ihrem Schicksal.

Mitrovic:Alles, was sich auf der Erde bewegt, ist ein Gotteswerk. Das Gebet kann auf keinen Fall eine Flucht aus dem Diesseits sein.

Simpson: Auch jemand, der nicht mehr religiös aktiv ist, hat manchmal das Bedürfnis zu beten. Diese Feier auf dem Klosterplatz ist sicher nicht nur ein Treffen von Frommen. Auch Leute, die am Rande des religiösen Geschehens stehen, sind herzlich willkommen. Die Gastfreundschaft ist bei allen Religionen etwas Wichtiges, deshalb auch an diesem Treffen. Ich halte es für ein gutes Zeichen, dass Stadt und Kanton einen solchen Anlass unterstützen. Und damit zeigen, dass verschiedene Religionen ihren Platz haben in der Gesellschaft, dass sie ein Teil davon sind. Es geht nicht darum, missionarisch zu sein.

Sie sprechen das Missionieren an. Der missionarische Geist hat in der langen Kirchengeschichte viele Opfer gefordert. Wie aktiv ist dieser noch?

Simpson: In der Vergangenheit ist die Missionsarbeit aus einer Haltung der Überlegenheit heraus gemacht worden. Das hatte negative Konsequenzen für die einheimischen Kulturen in den Missionsländern. Es war auch eine Verleugnung der inneren Botschaft, die eigentlich übermittelt werden sollte. Gleichzeitig hat die Missionsarbeit auch viel Gutes bewirkt, für die Bildung und das Gesundheitssystem. Der christliche Glaube hat einen Auftrag, seine Botschaft bekanntzumachen. Das ist so. Aber heutzutage spricht man auch von innerer Mission; dass die, welche eigentlich dazugehören, wieder in die Kirche mit einbezogen werden. Es gibt andere Religionen, die keinen missionarischen Auftrag haben, das Judentum zum Beispiel.

Mitrovic: Die Orthodoxen haben in der Vergangenheit nicht viel missioniert. In der Schweiz sehen wir aber eine andere Art des Missionierens. Viele Immigranten finden in der Kirche zusammen.

Simpson: Heute haben viele keine Kirchenzugehörigkeit mehr. Für diese Leute kann die offene Türe der Kirche willkommen sein. Im interreligiösen Dialog geht es aber nie darum, Leute zu bekehren.

Atheisten können viele Gründe aufzählen, warum sie Religionen für unnötig halten. Die Religionskriege beispielsweise.

Simpson: Solche Leute schauen nur auf eine Seite. Religion war immer ein Teil der Menschheitsgeschichte, und die war immer von Krieg geprägt. Es gab Kriege, die im Namen der Religionen geführt wurden, das kann man nicht leugnen. Ich kann damit genauso wenig anfangen wie ein Atheist. Die Liebe war immer gefährdet, und die Religionen predigen die Liebe. Man muss aber auch zur Kenntnis nehmen, welchen kulturschaffenden Geist die Religionen hatten. Europa und Asien wurden inspiriert davon. Viele Menschen werden von der Nächstenliebe geleitet.

Mitrovic: In der kommunistischen Ideologie schaute man die Religion als Generator der Dummheit an. Gleichzeitig schufen die Kommunisten Ersatzobjekte für die Religion, eine andere Art Reliquien. Es gab schreckliche Dinge im Namen der Kirchen. Aber auch Tausende gute. Ich habe einst einen Mönch kennengelernt, der sagte: «Es gibt zwei Sorten von Menschen: Eine funktioniert wie eine Biene, die andere wie eine Fliege. Die Biene fliegt auf einen Misthaufen und sieht das einzige Blümchen darauf. Genau auf dieser Blume wird sie landen. Auf einer Wiese mit tausend Blumen wird die Fliege dagegen nicht auf der Blüte, sondern genau auf dem einzigen kleinen Stück Mist landen.» Gott hat uns die Freiheit gegeben zu entscheiden, ob wir zu den Bienen oder den Fliegen gehören.

Simpson: Wir sind Menschen und gefangen in begrenzten Vorstellungen. Jeder Gottesdienst bei uns beginnt mit einem Schuldbekenntnis. Das ist das Eingeständnis, dass wir nicht perfekt sind. Aber wir suchen die Vergebung. Jene, die glauben, sie könnten ohne Fehler leben, sind die Gefährlichsten.

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