Wiler Zeitung, 3. April 1999 (Roland Schäfli)

«Ich bin ein Jugo ...»
... und dies meint Vica Mitrovic durchaus positiv


Während Bomben auf seine Heimatstadt Belgrad fallen und alle Gedanken den dortigen Verwandten gelten müssten, befasst sich der eingebürgerte Vica Mitrovic stoisch mit den Problemen der Ex-Jugoslawen in der Schweiz. Das Herz ist im Balkan, die tägliche Arbeit in der Arbeitsgemeinschaft für Integrationsfragen in Wil.

Am 20. Mai tritt erstmals die Arbeitsgruppe «Interkulturelles Zusammenleben» zusammen, vom Erziehungsdepartement zusammengestellt als direkte Folge auf die Forderungen nach verbesserter Integration, die nach dem St.Galler Lehrermord laut wurden. Wil ist durch Vica Mitrovic vertreten, den Delegierten des Vorstands der Arbeitsgemeinschaft für Integrationsfragen. Als Funktionär der Gewerkschaft Bau und Industrie vertritt er «einfache Leute mit einfachen Problemen».

«Ich spreche nicht gut Deutsch», sagt der dünne Mann mit dem schwarzen Bärtchen immer wieder entschuldigend, wenn er momentan nach Worten ringt. Dabei stimmt das gar nicht. Der Serbe spricht mit Akzent, kann sich aber in jeder Situation verständlich machen. Doch dieser Akzent ist es, der den Ex-Jugoslawen mit dem Schweizer Pass noch nach 13 Jahren in der Schweiz zu solchen Entschuldigungen veranlasst. Der Akzent und ein Nachname, der auf -ic endet, ziehen die Grenze zwischen eingebürgerten und geborenen Schweizern. Da nützt es ihm wenig, den rotweissen Pass zu besitzen, wenn er, wie vor Tagen geschehen, auf der Strasse von einer Frau wüst beschimpft wird. Dabei kann er mit dieser direkten Form des Rassismus noch besser umgehen als mit dem tiefgründigen, dem latenten Rassismus, der sich in einer unausgesprochenen Abneigung manifestiert, sich sogar auf Amtsstellen bemerkbar macht, wo man versucht wäre, die Beamten als schikanös zu bezeichnen. Solche Schweizer bleiben Einzelfälle. Ihre Dichte ist stark vom Landesteil abhängig: Bewegt Mitrovic sich vom kosmopolitischen Zürich Richtung Appenzell, kann Wärme schon mal unverwandt in Kälte umschlagen.

Das Grün der Wiesen und die Sauberkeit der Strassen waren die ersten Attribute, die er in seiner zweiten Heimat entdeckte. Seine Frau ist berufstätig und vollkommen assimiliert, sein Kind wächst wie ein Schweizer auf, spricht Schwyzerdütsch so fliessend wie die alte Landessprache und dazu noch einen Dialekt. Und doch kommt der Familienvater mit jeder Art Rassismus in Berührung, vor allem, wenn er in seiner Funktion als Gewerkschaftsfunktionär für Ausländer einsteht, sei es in juristischen Sachverhalten, oder wenn er jemanden auf eine Amtsstelle begleitet, wo dieser zuvor aus unerfindlichen Gründen abgewiesen wurde.

Das Wort «abgewiesen» ist ihm ein Begriff, seit er vor Jahren selbst auf einem Amt vorsprach und sich nicht zu helfen wusste, weil ihm eben dieser Begriff in Deutsch noch unbekannt war. Er weiss also um die Ohnmacht, die sich aus der Unkenntnis ergibt. Und genau da sucht er die Gründe für die beiderseitigen Integrationsprobleme. Die viel diskutierte Problematik liesse sich in Mitrovics Augen reduzieren auf die mangelnde Kommunikation zwischen Ausländern und Schweizervolk, die zum einen verursacht ist durch die Sprachbarrieren, zum anderen aber vor allem durch den mangelnden Willen, sich eingehender zu informieren, mit wem man es da eigentlich zu tun hat. Unkenntnis ist's, die Fremdenfeindlichkeit schürt, und nicht allein auf Schweizer Seite, nein, Mitrovic sucht den Fehler ganz besonders bei seinen Landsleuten. Die müssten den ersten Schritt machen, sich mit Gebräuchen und Geschichte vertraut machen. Doch erst müsse den Migranten das System der Schweiz grundlegend erklärt werden. Sein eigenes Studium als Politologe gibt ihm die Sicht frei auf geschichtliche Zusammenhänge. So ruft er Gewerbekreisen gern in Erinnerung, dass Ausländer nicht alle einfach «gekommen» sind, sondern noch vor einigen Jahren dazu aufgefordert waren.

Er ist gewahr, dass es Ex-Jugoslawen sind, und dabei nicht wenige, die den Ruf einer ganzen Bevölkerungsgruppe von Einwanderern - nach den Italienern immerhin die grösste der Schweiz - durch kriminelle Taten aufs Spiel setzen, um nicht zu sagen, schon verspielt haben. Den Behörden macht Mitrovic den Vorwurf, nicht genügend Gelder für tiefergehende Information der Einwanderer bereitzustellen, was einer späteren Isolation Vorschub leistet. Es fehlt an gezielter Medienarbeit, findet er. Bislang habe einfach die eine oder andere Seite ihre Darstellung «in der Zeitung gehabt». Sein Credo: Konflikte lassen sich mit konstruktiven Diskussionen beilegen. Doch dazu müssen beide gehört werden. Kein schnödes Lippenbekenntnis. Er will sich auch mit Rassisten auseinandersetzen - verbal natürlich. Redet einfach gern mit Leuten. Aufklärung ist ja sein Beruf.

Und wie soll nun von der neuen Arbeitsgruppe profitiert werden? Mitrovics Euphorismus ist verhalten. Als Politologe weiss er: Will man ein Problem verschleppen, gründet man eine Kommission. Selbst wenn die Arbeitsgruppe konkrete Projekte erarbeiten könne, sei nichts getan, bevor diese nicht auch umgesetzt würden. Das Erziehungsdepartement verlangt Entscheide gegenüber Ausländern, die nicht gewillt sind, sich schweizerischem Recht zu unterziehen. Für Mitrovic bedeutet diese Prämisse aber auch: Schutz jener Ausländer, die sich in die Ordnung fügen, aber durch Taten anderer diskreditiert werden.

Für die Ausländer aus dem Balkan, in deren Kreisen er nach wie vor verkehrt, quasi als Pendler zwischen Schweizer Freunden und Landsleuten, ist er Integrationsfigur. Trotz Schweizerpass sagt er nun nicht, ich bin ein Schweizer, sondern, ich bin ein Jugo. Den zum Schimpfwort gewordenen Begriff benutzt er für sich mit grossem Selbstverständnis. Und erklärt: In der Gesellschaft darf einer multikulturell sein. Nur nicht zwiespältig.

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