Wiler Zeitung, 18. November 2000 (Christoph Oklé)

Assimilation oder Integration?
(Referat von Vica Mitrovic von der Kantonalen Arbeitsgruppe für Ausländerfragen)


«Wir haben ein Jugo-Problem» - diese Aussage stammt nicht von einem Rassisten. Ausgesprochen wurde sie vom Referenten, einem in Ostserbien geborenen Politologen, am Orientierungsabend der Oberstufe Sonnenhof.

«Wer sind die Jugos?», lautete der Titel des Vortrags- und Diskussionsabends vom Donnerstag, zu dem die Schulleitung der Oberstufe Sonnenhof die Eltern ihrer Schülerschaft eingeladen hatte. Nicht nur der Titel des Anlasses erschien in der Einladung in Frageform, sondern auch das Inhaltsverzeichnis: Wer sind diese Menschen, die in grosser Zahl in unser Land kommen? Was für Migrationsprobleme haben die Menschen aus dem ehemaligen Jugoslawien? Welche Werte gibt es im geografischen Raum Balkan? Wie beeinflussen diese Werte das Handeln der dortigen Menschen? Welche Probleme ergeben sich beim Zusammentreffen mit Werten unserer Gesellschaft? Mehr als sechzig Personen waren an den Antworten interessiert.

Identitätsverlust

Der kulturbedingte Unterschied zwischen der einheimischen Bevölkerung und den aus dem Balkan Zugewanderten mache das Leben beiden Teilen schwer, sagte der Schweizer Bürger Vica Mitrovic, und: «Wir haben ein Jugo-Problem», denn zwischen den Wünschen der Schweizer an die Ausländer nach Anpassung und den Bedürfnissen der Ausländer, die eine konstruktive Integrationspolitik betreiben, ohne dabei die eigene Identität zu verlieren, herrsche ein Spannungsfeld.
Das durch traditionelles Recht geprägte Verhalten der Menschen aus dem Balkan sei überall ersichtlich und behindere deren Akzeptanz durch die westliche, von rationalen Normen geprägte Gesellschaft, erklärte Vica Mitrovic. Er verwies auf die seit vorrömischer Zeit weitergegebene Rechtsprechung im Kosovo, in der unter anderem auch die Familienehre und Blutrache geregelt sind.

Pervertiertes Recht

Bestandteil dieses Gewohnheitsrechts, das während der Herrschaft Titos neben dem staatlichen Recht weiter gepflegt worden war, beinhalte aber auch konfliktmindernde Prozeduren. Diese seien durch das Auseinanderfallen gesellschaftlicher Strukturen als Folge der Migration verschwunden, sagte Mitrovic. Dieses Recht sei so zu einem Unrecht pervertiert, stellte er fest.
Die Politik werde von der Wirtschaft dominiert, meinte der Gewerkschafter Mitrovic. Obwohl die Schweizer Wirtschaft auf Arbeitskräfte angewiesen sei, wolle sich die Schweiz nicht als Migrationsland betrachten. Dass die Arbeitskräfte aber, die man aus dem Ausland holt, nicht nur Produktionsfaktoren seien, sondern auch Menschen mit Bedürfnissen, werde zu wenig zur Kenntnis genommen.

«Die Integrationspolitik darf sich nicht nur auf ein paar einzelne Projekte und den Einsatz einiger Sozialarbeiter beschränken.»

«Die Verantwortung der Wirtschaft wird nie angesprochen. Es wurden billige Arbeitskräfte, die nur über eine Grundschulbildung verfügen, die jung, gesund, dynamisch und flexibel sind, für Arbeiten, die die Einheimischen nicht verrichten wollen, in die Schweiz geholt. Von der profitierenden Wirtschaft werden keine Anstrengungen zur Integration der Ausländer unternommen.»

«Die Ausländer müssen akzeptieren, dass bei uns in der Schweiz Werte wie zum Beispiel Toleranz, Unauffälligkeit, Sparsamkeit, Verantwortung und Kompromissbereitschaft gelten.»

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