Bakis, Juni 2003

Ein Jugo in den Nationalrat!


Durch meine Kandidatur haben eingebürgerte MigrantInnen, die oft nicht wählen gehen, die Möglichkeit, sich einzumischen. Auch einheimische Wahlberechtigte, die der Meinung sind, dass über Migration anders diskutiert werden muss, haben nun die Möglichkeit, ein Zeichen zu setzen. Für mich gibt es drei wichtige Bereiche:

  1. Anliegen, Interessen der MigrantInnen zu artikulieren, auch via SP. An die entsprechenden Instanzen gelangen, weil Themen, die Ausländer aufgreifen, oft gar nicht ernst genommen wird. Man begegnet ihnen mit Vorurteilen wie: Die Jugos sind da, um unser Sozialsystem auszunutzen.
  2. Schulproblematik, die ich auch persönlich kenne: Die kulturellen Hintergründe und Bedürfnisse der AusländerInnen müssen bei Entscheiden des Schulrates, im Umgang und Einbezug der Eltern, beim schulpsychologischen Dienst einbezogen werden.
  3. Identitätsproblematik der zweiten Generation: Warum sind diese Menschen, die in zwei Kulturen aufwachsen und teilweise auch so funktionieren, in diesen Gesellschaftsstrukturen unerwünscht? Dies, obwohl sie sehr wertvoll sind, durch ihre Kenntnisse, durch ihre Mehrsprachigkeit, durch ihre Brückenfunktion als Vermittler. In einem Eiltempo wischen sie ihre Identität unter den Teppich. Diese Identitätsproblematik ist sehr ernst zu nehmen. Ich nenne solche Kinder Blocher-Kinder, weil sie oft im Sinne der SVP handeln. Sie reden häufig über viel Freiheit und tiefe Steuern, sind aber nicht in der Lage, soziale Komponenten zu verstehen. Ihre Eltern leben oft in sehr bescheidenen Verhältnissen, sind nicht integriert. Sie wirken durch ihren überdosierten Versuch integriert zu scheinen manchmal lächerlich. Viele Menschen, denen ich begegnet bin, sind desorientiert. Die gesellschaftlichen Strukturen tragen wesentlich zu diesem Verhalten, der Verdrängung der kulturellen Hintergründe, bei. Das muss sich ändern.

Der SP wird oft der Vorwurf gemacht, dass sie sich von den einfachen Leuten, den Arbeitern, Angestellten entfernt hat. Ist dieser Vorwurf deiner Meinung nach gerechtfertigt?

Teilweise schon. Sie befasst sich mit der wirtschaftlich stabileren Mittelklasse. Aber all die Themen, welche die SP aufgreift, wie Prämienverbilligung, Gesundheitsinitiative mit Abschaffung der Kopfprämien, Diskussion über die Gestaltung einer umfassenden Migrationspolitik, Gleichstellungsproblematik Mann-Frau zum Beispiel im Bereich Lohn, sind Themen, die alle Menschen betreffen, insbesondere diejenigen mit geringerem Einkommen. Aber es scheinen tatsächlich wenige Menschen aus dem Niedriglohnsektor in der Nähe der SP zu stehen oder überhaupt politisch aktiv zu sein.

Worin besteht deine Arbeit als Gewerkschaftssekretär bei der GBI?

Werbung und Betreuung der Mitglieder mit Schwerpunkt MigrantInnen aus verschiedenen Branchen. Das Spektrum ist breit: Arbeitsgerichtsfälle, Aufklärungsarbeiten, Dolmetscher, Vermittler bei unterschiedlichen Konflikten, Schulratsentscheide, Fremdenpolizeirecht. Wichtig ist auch der edukative Teil. Bei Versammlungen, Treffs und Sitzungen erkläre ich das Gewerkschaftsrecht und das Wertesystem dieses Landes.

Gewerkschaftsmitglieder wählen auch die SVP, die mit einer ausländerfeindlichen Politik Stimmen holt. Wie erlebst du persönlich die Ausländerfeindlichkeit in der Gewerkschaft?

Das ist eine präsente Sache, worüber diskutiert werden muss. Ich bin der Meinung, dass die SVP manchmal interessante Themen aufgreift. Leider tut sie das nur, um sich zu profilieren, nicht um Lösungen zu suchen.
Viele junge Leute sprechen auf die Politik der SVP an, auch Secondos: Freiheit, Steuersenkungen. Über die effektiven Einkommensverhältnisse der einfachen Leute wird jedoch nicht gesprochen. Die MigrantInnen müssen ein Bewusstsein kreieren, klare Zeichen setzen. Wir müssen Parteien wählen, welche sich tatsächlich für unsere Interessen einsetzen; nämlich mit einer Politik, die Bildung und Gleichstellung in Lohnfragen vorantreibt. So können wir Positionen, Felder in dieser Gesellschaft einnehmen.

Fusionen machen nicht nur in der Wirtschaft von sich reden. Die Gewerkschaften GBI und SMUV werden demnächst zur unia fusionieren. Was hältst du von dieser Fusion?

Das ist eine notwendige, vernünftige Fusion, das habe ich schon vor Jahren gesagt. Zwei Kulturen werden zu einer neuen verschmelzen. Mit dieser Fusion gibt es ein anderes Kräfteverhältnis. Nämlich eine ernst zu nehmende, starke Gewerkschaft als Gegenpol zu gewissen Kreisen, die alles Mögliche an Marktversuchen unternehmen. Als Organisation mit über 200000 Mitgliedern wird man in der Lage sein, etwas auf die Strasse zu bringen, politisch zu bewegen.

Integration, das grosse Schlagwort in der Ausländerpolitik. Siehst du gute Ansätze?


Ungenügend. Unter Integration verstehe ich nicht projektbezogene Unternehmungen, vorwiegend unter Schweizer Führung. AusländerInnen müssen in den integrativen Prozessen involviert sein, das Potential der zweiten Generation muss ausgenutzt werden. Bei Entscheiden müssen die AusländerInnen rechtzeitig involviert werden. Solange wir uns nicht trennen von diesen projektweisen Integrationsbemühungen, sehe ich keine erfolgreiche Integrationspolitik. Die Integration muss von staatlichen Strukturen ausgehen. Für die Integration ist es notwendig, dass die AusländerInnen einen Schritt machen. Manche tun das nicht, das ist eine Tatsache. Die andere Tatsache ist, dass in diesem Zusammenhang keine Strukturen existieren. Nur der Staat kann diese aufbauen. Damit auch die Begegnung mit passiven AusländerInnen stattfinden kann, damit auch deren Bedürfnisse erfasst werden.
Ein grosser Teil der AusländerInnen ist schlecht ausgebildet, es gibt auch Analphabeten. Um diese Menschen zu bewegen, braucht es eine Verwaltung - im breiten Sinne. Aber wenn in der Verwaltung Leute mit Vorurteilen arbeiten, zum Beispiel mit dem Jugosyndrom = Rückensyndrom, kann man nichts bewegen.
Bereits vorhandene Institutionen müssen einige Ziele und Aufgaben haben. So werden sie uns suchen und es entsteht ein Prozess, ein Produkt. So werden auch passive, desinteressierte AusländerInnen in einen Kreislauf gebracht. Es entsteht eine neue Dynamik. Eigeninitiativen sind ungenügend. Die Arbeitgeber haben kein Interesse, die Leute zu integrieren. Sie wollen billige Arbeitskräfte. Nur der Staat kann die Integration vorantreiben. Das ist natürlich mit Kosten verbunden. Aber ein Desorientierter im Gefängnis kommt ebenfalls teuer.
Migration muss Sache des Staates sein - in umfassender Form. Die Fremdenpolizei sollte - so wie sie heute funktioniert - degradiert werden. MigrantInnen der ersten Generation müssen sich mit ihren Bedürfnissen hier zurecht finden können.

Vielen Dank für das Gespräch

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