Anzeiger, Februar 2007 (Rolf Häberli)

Brücken bauen zwischen Kulturen


Die mangelhafte Integration von Einwanderern aus dem Balkan ist ein heiss diskutiertes Thema. Im Schulhaus Engelwies läuft ein viel versprechendes Pilotprojekt.

Vica Mitrovic hat mit der Bezeichnung «Jugo», das die Schweizer oft als Schimpfwort verwenden, kein Problem. Er selber bezeichnet sich und seine Landsleute aus dem ehemaligen Jugoslawien so. Der in Serbien aufgewachsene studierte Politologe ist ein Einwanderer der ersten Generation. Mittlerweile ist er eingebürgert und hat sich gut integriert, ohne aber angepasst zu sein. «Ich lebe gerne in der Schweiz, sie ist mir zur Heimat geworden», bekennt Mitrovic. Er ist am aktuellen Integrationsprojekt an der Realschule Engelwies in St.Gallen beteiligt.

Kooperation mit den Eltern

Traurige Berühmtheit erlangte «Engelwies» wegen des Lehrermordes, verübt durch den Vater einer Schülerin. In dieser Schule sind über die Hälfte der Schüler ausländischer Herkunft, über ein Drittel stammt aus Ex-Jugoslawien. «Eine solch multikulturelle Zusammensetzung stellt höchste Ansprüche an eine Schule. Allein mit pädagogisch-didaktischen Massnahmen ist eine solche Situation kaum zu meistern. Es braucht zusätzliche Unterstützung, die bei der Integrations- und Elternarbeit ansetzt», schildert Mitrovic die Ausgangslage. Auf Initiative von Brigitte Locher-Kormann wurde ein Pilotprojekt ausgearbeitet, das mit einem neuen Ansatz versucht, bei der Integration der aus Südeuropa stammenden Eltern anzusetzen. Die beiden Kulturvermittler Vica Mitrovic und Albert Ramaj versuchen im Pilotprojekt die Eltern der fremdsprachigen Kinder zur Kooperation zu ermuntern. Sie organisieren Zusammenkünfte, in denen die Eltern, die oft des Deutschen nicht oder wenig mächtig sind, in ihrer Heimatsprache reden können. So moderierte Mitrovic kürzlich eine Elterngruppe mit Serben, Kroaten und Bosniern, Kollege Ramaj eine mit den albanischen Eltern. Informiert und diskutiert wurde an diesen Elternabenden über das Schulsystem in der Heimat und in der Schweiz. Dieses Pilotprojekt soll später auch in andern Schulen der Stadt und schliesslich im ganzen Kanton durchgeführt werden. «Die Integration ist ein mühsamer Weg, Fortschritte gibt es nur in kleinen Schritten. Doch die Mühe lohnt sich!», stellt Mitrovic fest.

Wichtige Gastfreundschaft

Das Büro der Mitra GmbH befindet sich in einem St.Galler Geschäftshaus an der Rosenbergstrasse. Unter diesem Namen betreibt Mitrovic eine eigene Dolmetscher- und Beratungsfirma. Die Ikone mit dem Erzengel Gabriel und ein kleines Ölbild seines Heimatortes geben dem winzigen Büro eine persönliche Note. Ein Schmunzeln entlockt dem Besucher die Entdeckung der Steuererklärung auf dem Schreibtisch. Pflichtbewusst hat sie Mitrovic bereits in Angriff genommen, obwohl der Abgabetermin noch einige Monate entfernt ist. Freundlich ist der Empfang, sofort wird dem Gast ein Kaffee zu trinken angeboten. «Gastfreundschaft ist in den Balkanländern ein wichtiges Gebot der Höflichkeit», erklärt Mitrovic in perfektem Deutsch mit einem leichten südeuropäischen Akzent. Der freundliche Mann mit der leisen Stimme kann jedoch, wenn es die Situation erfordert, sehr energisch werden. Im Büro empfängt er seine Klienten, hört aufmerksam ihren Problemen zu und versucht, zusammen mit schweizerischen Stellen beidseits gangbare Lösungen zu finden. Durch die Sprachkenntnisse, er spricht Rumänisch, Serbisch, Kroatisch, Bosnisch und Deutsch, durch die Kenntnisse der schweizerischen Strukturen und durch sein auf Ausgleich bedachtes Wesen ist er ein idealer Kommunikator zwischen den Kulturen.

Zwischen den Fronten

«Auf welcher Seite stehst du eigentlich?» Mit dieser Frage werde er oft konfrontiert, wenn er den Klienten eine einvernehmliche Lösung vorschlage. Durch die auf Ausgleich bedachte Haltung gerät Mitrovic leicht zwischen die Fronten. «Alles oder nichts!», lautet die Devise vieler Klienten, die mentalitätsbedingt nur die Konfrontation kennen. Schon als Gewerkschaftssekretär wehrte sich Mitrovic für die Interessen der Schwächeren. Als Geschäftsführer der Mitra GmbH setzt er diese Tätigkeit fort. Nur dass er jetzt nicht mehr Angestellter, sondern Selbständigerwerbender ist. Glaubhaft versichert er, dass er durch diese Tätigkeit nicht reich werde, doch verschaffe ihm die Dolmetscher- und Vermittlungstätigkeit eine grosse Befriedigung.

Engagierter Brückenbauer

Mitrovic ist Mitbegründer des Fachteams für Süd-Ost-Europa-Fragen, das sich als Zusammenschluss mehrsprachiger Fachleute aus dem Balkan und der Schweiz versteht. «Das Ziel des Teams ist, Beiträge zur Verbesserung des Zusammenlebens der in der Schweiz wohnhaften Menschen zu leisten», fasst er zusammen. In der Politik engagiert sich Mitrovic für die Interessen der Migranten. «Um die Chancen und Rechte der Einwanderer endlich zu verbessern, brauchen wir eine politische Stimme», lautet seine Überzeugung. Er arbeitet im Vorstand der SP der Stadt St.Gallen mit. Bei den Nationalratswahlen 2003 und Kantonsratswahlen 2004 erzielte er als Kandidat ein beachtliches Resultat. Voraussichtlich wird er auch wieder bei den kommenden Nationalratswahlen für die SP antreten. «Hoffentlich erlebt es mein elfjähriger Sohn Petar, dass Ausländer aus dem Balkan und Schweizer friedlich zusammenleben können!», sagt Brückenbauer Mitrovic, der trotz allem zuversichtlich ist.

Zur Person

Vica Mitrovic; geboren am 22. März 1961; Wohnort: St.Gallen; Zivilstand: Geschieden, Sohn Petar (11 Jahre)

Werdegang: Geboren auf dem Lande im Gebiet Homolje in Ostserbien. Als Walache Angehöriger der rumänischen Minderheit, Muttersprache Rumänisch, spricht ausserdem Serbisch, Kroatisch, Bosnisch und Deutsch. In der Hauptstadt Belgrad Studium der Politischen Wissenschaften. 1986 Besuch des Cousins in Uzwil. In der Ostschweiz hängen geblieben. Während dreier Jahre als Hilfsarbeiter gearbeitet, 15 Jahre lang Sekretär der Gewerkschaft GBI/Unia St.Gallen und Wil. Einbürgerung im Jahre 1998. Ende 2005 Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit: Gründung der Dolmetscher- und Beratungsfirma Mitra GmbH in St.Gallen. Anfang 2006 Mitbegründer des FSO-Fachteams für Süd-Ost-Europa-Fragen.

Hobbys: Lesen von klassischer Literatur. Verbringt viel Zeit mit seinem Sohn. Freude am Kochen.

Mitra GmbH
Rosenbergstrasse 62
CH-9000 St. Gallen
Tel. +41 (0)71 222 44 04
Mobile +41 (0)76 33 44 131
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